Helmut Wehr: Erich Fromm. Eine Einführung


Wiesbaden. Panorama Verlag, 2005, ISBN: 9783926642684.

Die Kunst des Liebens und Haben oder Sein sind Bestseller und Kultbücher, mit denen Erich Fromm (1900-1980) in der Bundesrepublik große Popularität gewonnen hat. Fromm entwirft in diesen Werken ein Panorama des Lebens, in dem die zwischenmenschlichen Beziehungen im Vordergrund stehen.

Jeder einzelne ist aufgerufen, sich zwischen entfremdetem und erfülltem Leben, zwischen Besitzstreben und Selbstverantwortung in Freiheit zu entscheiden. Eine hoffnungsvolle Botschaft, die insbesondere im Umfeld der Alternativ-, Ökologie- und Friedensbewegung Gehör fand. Hinter dem Philanthropen Fromm verschwindet jedoch nicht selten der einstige sozialpsychologische Vordenker der Kritischen Theorie. Vielen Bewunderern Fromms von heute ist nicht gegenwärtig, daß der radikale Humanist in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren ganz andere Akzente setzte. Fromm praktizierte damals als Psychoanalytiker in Berlin, war Dozent am Frankfurter Psychoanalytischen Institut und Mitarbeiter des von Max Horkheimer geleiteten »Instituts für Sozialforschung«. Neben Wilhelm Reich und Siegfried Bernfeld gehörte Fromm zu jenen Linksfreudianern, die den faszinierenden Versuch unternahmen, Psychoanalyse und Marxismus zu verbinden. Sein Interesse galt dem Zusammenhang von Psyche und Gesellschaft. Die Triebstruktur des Menschen sah Fromm als das Produkt ökonomischer und gesellschaftlicher Kräfte; das Unbewußte war längst nicht allein entscheidend.

Dennoch waren Freud und Marx zu keiner Zeit Fromms einzige Quellen der Inspiration. Den Einfluß des messianischen Judentums und des Buddhismus hat Fromm, der aus einer orthodoxen jüdischen Familie stammte, nie geleugnet. Hierin liegt wohl auch der Kern der Differenzen, die 1938 zur Trennung vom »Institut für Sozialforschung« führten. Dem Geschichtspessimismus und der »Negativen Dialektik« eines Adorno hielt Fromm Optimismus, Spontaneität und das Lernen aus dem eigenen Verhalten entgegen. Unverkennbar ist Fromms Hinwendung zu einer humanistischen Ethik bereits in dem Buch Die Furcht vor der Freiheit (1941), das, in englischer Sprache verfaßt, in den USA eine große Resonanz fand. Seither hat Fromm in zahlreichen Publikationen den produktiven, liebesfähigen Charakter zu umreißen versucht oder die Hindernisse benannt, die ihm entgegenstehen (Anatomie der menschlichen Destruktivität, 1973).

Die Auseinandersetzung mit dem vielfältigen Werk Fromms ist heute weitgehend mit Klischees behaftet. Für die einen ist er ein »neo-freudianischer Revisionist« (H. Marcuse), für die anderen ein Prophet, Visionär und Hoffnungsträger.

Helmut Wehr gibt in seiner Einführung eine Antwort auf die Frage, wie Fromms desillusionierende Gesellschaftsdiagnose mit seiner Vision einer friedlichen, humanen Welt in Einklang zu bringen ist. Er zeichnet ein ganzheitliches Bild Fromms, das die Stationen seines Werkes als Etappen seines Weges zu einem humanistischen Sozialismus erkennbar werden läßt. Der »frühe« und der »späte« Fromm sind nicht zu trennen. Kritische Gesellschaftstheorie, Ethik und Humanismus bilden eine Einheit.