Selbstbestimmung am Ende des Lebens

Studientagung in Tübingen am Samstag, 15. Oktober 2022 – mit zusätzlichem Angebot für Interessierte am Sonntag, 16. Oktober 2022

 

Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen gilt in unserer Zeit und Gesellschaft als hohes Gut. Viele Menschen befürchten im Hinblick auf ihr Alter und auf Krankheiten vor allem den Verlust ihrer selbstbestimmten Lebensgestaltung.   Im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von Februar 2020 zum assistierten Suizid wird der Anspruch auf Autonomie nicht nur im Hinblick auf die Lebensführung, sondern auch auf den Zeitpunkt des Sterbens höchstrichterlich bekräftigt:  „Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu akzeptieren.“

Der Studientag möchte nicht nur die Diskussion um den assistierten Suizid aufgreifen, sondern – auch im biophilen Sinne Erich Fromms - grundsätzlicher nach den Möglichkeiten und Grenzen von Autonomie am Lebensende fragen. Dabei werden die Lebenslagen von Menschen am Lebensende und in der Pflege sowie psychoanalytische, ethische und kultur- und gesellschaftskritische Überlegungen in den Blick genommen.


Die Veranstaltung wird in den Räumlichkeiten des Weltethos-Instituts und des Erich Fromm-Instituts, die im gleichen Gebäude am Rande der Tübinger Altstadt liegen, stattfinden. Das Tagungsprogramm mit Vorträgen und Diskussionen wird am Samstag von 9:45 Uhr bis 17:30 stattfinden. Am Sonntag besteht von 9:30 Uhr bis 12:00 Uhr zusätzlich die Möglichkeit zu vertiefenden Gesprächen und zur Führung durch das Erich Fromm-Institut.EFIT WEIT Ansicht


Tagungsgebühr:

Teilnahme mit Mittagsimbiss am Samstag: 20 €

Teilnahme ohne Mittagsimbiss: 10 €

Teilnahme als Student:in ohne Mittagsimbiss: kostenlos

Übernachtungen buchen Sie bitte bei Bedarf in eigener Regie.


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Tagungsinhalt

Wie wollen wir alt werden? Wie soll unser Leben enden? Wer entscheidet über unsere letzte Lebensphase und über unser Sterben? Selbstbestimmung wird gesellschaftlich weithin gefordert und macht auch nicht in Bezug auf das Lebensende halt. Aktive Gestaltung des Lebens wird von jedem Einzelnen erwartet, Autonomie bis zuletzt. Die veränderte gesellschaftliche Auffassung fand ihren Niederschlag in der Begründung, den Kommentaren und Debatten zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 26. Februar 2020 zum assistierten Suizid.

Was verlangt die „Kunst des Lebens“ von uns, wenn es um das Altern und Sterben geht? „Ich möchte mein Leben selbst gestalten – und es selbst beschließen“, das gelingt nicht so einfach. Ein Leben lang gilt es, Konflikte zwischen Abhängigkeiten und Selbstbestimmungswünschen zu bewältigen. Auch ein Solidaritätsgefühl ist nicht selbstverständlich gegeben, in dem man sich sozial eingebettet, angewiesen und anderen gegenüber verpflichtet fühlt. Jede/r lebt nicht aus sich selbst alleine, sondern braucht Andere und bleibt für andere am Leben. 

Die unser Selbst und unsere Selbstbestimmung bedrohenden Gefühle von Ohnmacht und Angst finden Ausflüchte in einem Entgrenzungsstreben. Anything goes! Schon in den Kinderzimmern werden in Computerspielen interaktiv unendliche Welten durchstreift, Identitäten kreiert und es wird virtuell mit mehreren Leben gehandelt. In diesen neuen Erlebnissphären scheinen sich die bisher vorgegebenen Grenzen der Conditio humana zu verflüchtigen. Dem Sterben können wir in seiner existenziellen Dimension lange entkommen, bis uns die unerbittliche Realität der Endlichkeit mit voller Wucht trifft. Für andere, die unheilbar (am Leben) leiden, funktionieren die
kulturell vermittelten Fluchtmechanismen nicht, sie kommen nach langem Ringen an den Punkt: „Es reicht mir jetzt!

Wir werden uns bei dieser Tagung aus Perspektiven der Alternsforschung, der Ethik und Kulturphilosophie und der Psychoanalyse kritisch mit den Chancen und Grenzen der Selbstbestimmung im Hinblick auf das Lebensende hin auseinandersetzen. Wir wollen uns mit der Situation von alten Menschen in der letzten Lebensphase beschäftigen. Die neuen medizinischen und juristischen Möglichkeiten, das Leben selbstbestimmt zu beenden, werden in den Blick genommen, und es wird nach den bewussten und unbewussten Motiven der Selbstbestimmung gefragt. Wir möchten das Wahrnehmungsvermögen für kulturelle und gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen schärfen.