Rezensionen

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bild fromm therapeut

Rainer Funk (Hg)

Erich Fromm als Therapeut

Einblicke in seine psychoanalytische Praxis aus Sicht seiner Schüler

251 S., broschiert, Juli 2009; ISBN-13: 9783837920024, Ladenpreis: 24,90 Euro

 

 

Nachdem im Mai 2009 die englische Originalausgabe ("The Clinical Erich Fromm") bei Rodopi erschienen ist, liegt nun auch nach drei Jahren Vorbereitung die beim Psychosozial-Verlag erschienene deutsche Übersetzung vor.

Neben zwei zentralen Texten Fromms zu seiner eigenen therapeutischen Praxis teilen in diesem Band 19 Autoren ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit Erich Fromm als Therapeuten, Lehranalytiker, Supervisor und Mensch mit. Auf diese Weise entstand ein höchst eindrucksvolles und lehrreiches Bild der sogenannten psychoanalytischen Technik von Erich Fromm.

 
 

Das Buch richtet sich nicht nur an therapeutisch Tätige, obwohl es hier eine Lücke zu schließen versucht. Es ist auch für alle, die persönlich oder beruflich an Beziehungsarbeit interessiert sind, von großer Bedeutung. Schließlich ermöglicht es bisher kaum bekannte Einblicke in die Persönlichkeit und das Leben von Erich Fromm.

 
 

Die Beiträge stammen von Robert U. Akeret, Ralph M. Crowley, Harold B. Davis, Marianne Horney Eckardt, Arthur H. Feiner, Leonard C. Feldstein, Rainer Funk, Sonia Gojman de Millán, George D. Goldman, Anna Gourevitch, Gérard D. Khoury, Jay S. Kwawer, Bernard Landis, Ruth M. Lesser, Michael Maccoby, Salvador Millán, Dale H. Ortmeyer, David E. Schecter, Jorge Silva García und Edward S. Tauber.

Hier eine Besprechung des Buches von Helmut Johach:

 

Der von Rainer Funk herausgegebene Band, der zum größten Teil aus Beiträgen namhafter, bei Fromm ausgebildeter Therapeutinnen und Therapeuten besteht, sucht eine empfindliche Lücke zu schließen. Erich Fromm hat nämlich, obwohl er seit seinem 30. Lebensjahr als Psychoanalytiker tätig war und zu Freud und der Entwicklung der Psychoanalyse häufig Stellung bezogen hat, über seine eigene Art zu therapieren so gut wie nichts veröffentlicht. In den ersten zehn Bänden der Gesamtausgabe, die das von Fromm zu Lebzeiten Veröffentlichte enthalten, findet sich weder die Schilderung eines Behandlungsverlaufs noch eine Darstellung und Begründung seiner eigenen psychoanalytischen „Technik". Möglicherweise hätte das mehrbändige Werk über die Psychoanalyse, das er im Alter zu schreiben beabsichtigte, einige Angaben dazu enthalten, aber dieser Plan wurde von ihm fallen gelassen, als er Haben oder Sein (1976) zu schreiben begann.

Sein Schweigen zur eigenen Praxis der Psychoanalyse hat tiefere Gründe: Fromm wollte nie eine therapeutische „Schule" begründen und sich selbst als Vorbild für andere Therapeuten hinstellen; vielmehr war er der Meinung, dass der angehende Psychoanalytiker mit dem, was er während seiner Ausbildung bei erfahrenen Therapeuten „lernen" könne, seinen eigenen Weg gehen müsse. Der Verzicht auf eine objektivierende Darstellung seiner therapeutischen Tätigkeit wurde ihm jedoch angekreidet, bis hin zu der abwegigen Behauptung, er sei nicht „mit seinem ganzen Herzen" Therapeut gewesen, sondern er habe diesen Beruf nur ausgeübt, um eine Basis für seine „spekulativen Neigungen" als Sozial- und Religionsphilosoph zu haben (Josef Rattner). Dass Fromm sehr wohl „mit ganzem Herzen" nicht nur beim Schreiben seiner Bücher, sondern auch als praktischer Psychoanalytiker in seinen Therapien und Supervisionen „präsent" war, belegen dagegen die hier gesammelten Erinnerungen von Analysandinnen und Schülern aus der Zeit seinen Wirkens an psychoanalytischen Ausbildungsinstituten in den USA und Mexiko, ehe er sich nach Locarno in der Schweiz zurückzog, wo Rainer Funk sein letzter Assistent war.

Der Band wird eröffnet mit zwei bereits in GA XII aus dem Nachlass veröffentlichten Vorträgen, die Erich Fromm 1959 und 1964 am William Alanson White Institute in New York gehalten hat. An diesem Ausbildungsinstitut, dem Fromm lange angehörte, wurde eine „revisionistische" Auffassung der Psychoanalyse vertreten, die die Freudsche Trieb- und Libidotheorie durch eine „interpersonelle Beziehungstheorie" ersetzte und auch in der psychoanalytischen Behandlung die Wichtigkeit der interpersonellen Beziehung anstelle von Übertragung und deren Deutung betonte. Fromm radikalisiert diese Position in gewisser Weise, indem er ein „Bezogensein aus der Mitte" (S. 37) für den therapeutischen Prozess als erstrebenswert und notwendig erachtet. Auch wenn Übertragungen mit ihrem kindlichen Anteil nie ganz ausgeschlossen werden können, zielt das psychoanalytische Gespräch doch primär auf die Begegnung zwischen zwei Erwachsenen, bei der es darum geht, die „unbewusste Wirklichkeit eines Menschen aufzudecken", in der Überzeugung, dass dies dazu beitragen kann, dass es ihm schließlich „besser geht" (S. 60). Dieses Ziel, in dem sich Fromm mit Freud und der Tradition der Psychoanalyse einig weiß, wird bei ihm jedoch auf eine Weise angestrebt, die die klassische „Abstinenz" des Analytikers, zu der immer auch eine gewisse innere Distanz gehört, hinter sich lässt. Das impliziert den Verzicht auf die Couch, „ganzheitliches" Erleben in „direktem" Kontakt und eine innere Einstellung, die vom Interesse am „Wachstum" des Klienten getragen ist.

Dass dies keine leeren Worte sind, sondern dass Fromms eigenes Vorgehen in der Therapie dem entspricht, was er in seinen Vorträgen für den Therapeuten fordert, geht aus den Schilderungen von Schülern und Supervisanden hervor, die den zweiten und dritten Teil des Buches ausmachen. Von den meisten wird seine Fähigkeit zu direktem Kontakt hervorgehoben. Außer der Stimme war das Auge für ihn ein wichtiges Kontaktorgan. So schreibt eine Supervisandin (Ruth Lesser) über die besondere Art von Fromms Blickkontakt: „Seine Augen waren ungeheuer ausdrucksstark. Manchmal schienen sie durchdringend zu sein und spiegelten seinen Wunsch wider, jeden Schwindel und jede Ausflucht zu unterbinden. Dann konnten sie auch schelmisch und humorvoll funkeln. Schließlich konnten sie auch eine tief empfundene Wärme und Zärtlichkeit mitteilen." (S. 120).

Als ein weiteres Merkmal von Fromms Art des Kontakts wird seine Präsenz hervorgehoben. Er war immer „ganz gegenwärtig" (S. 157), was besagt, dass er sich auf den jeweiligen Dialogpartner, auf den Inhalt des Gesagten und auf seine eigenen Reaktionen gleichermaßen konzentrierte und offen aussprach, was er dabei empfand, wobei er mit einem „Schauen Sie, hier..." (S. 157) seine Bemerkungen zu dem, was ihm aufgefallen war, einzuleiten pflegte. In dem, was er sagte, konnte er sehr direkt sein, was von manchen als ein Zeichen für mangelnde Sensibilität und gelegentlich auch als verletzend ausgelegt wurde, was aber nicht verletzend gemeint war. Seine Direktheit war ein „Mittel, um einen Menschen zu berühren, ohne mit ihm körperlichen Kontakt zu haben" (S. 114). Fromm war der Meinung, dass man „niemanden vor dem schützen sollte, was er zu hören bekommen musste" (S. 112). Damit sprach er nicht die Schwächen, sondern die Fähigkeiten des Anderen an; der Klient sollte sich nämlich „wachgerüttelt fühlen, aber nicht am Boden zerstört." (ebd.)

Als eine besondere Stärke Fromms erscheint seine Fähigkeit, die „entscheidenden Strebungen und Probleme eines Patienten relativ schnell zu erkennen" (S. 101). Im therapeutischen Kontakt ging es ihm nicht sosehr um die Förderung der Regression - allzu tief in die Vergangenheit einzutauchen, erschien ihm eher problematisch, weil es zu einem Festhalten an der Kindrolle führen kann. Vielmehr ging es um die aktuell erkennbaren Aspekte der Persönlichkeit, insbesondere solche, die dem anderen nicht bewusst waren oder die er nicht wahrhaben wollte. Dementsprechend suchte er die Anteile von Übertragung und Gegenübertragung gering zu halten. Er sprach im anderen den Erwachsenen an und konnte auch noch „bei jemandem, der schwer Schaden genommen hatte, die Wachstumsmöglichkeiten sehen" (S. 115).

Fromm bezeichnet seine eigene Art zu therapieren als „humanistische Psychoanalyse" (GA IV, S. 5), wobei er einerseits ein humanistisches „Menschenbild" mit der Fähigkeit, sich „weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen" (GA IX, S. 19), andererseits das von „Humanität und echter Freundlichkeit" (GA I, S. 131) geprägte Vorbild Groddecks und Ferenczis vor Augen hat. So wendet er den „humanistischen" Satz des Terenz, dass „nichts Menschliches mir fremd" ist („Humani nihil a me alienum puto", GA IV, S. 304) auf den therapeutischen Prozess in einer Weise an, die an Ferenczis „mutuelle Analyse" erinnert. Nicht nur der Analysand „lernt" vom Analytiker, sondern auch umgekehrt. Die Frage: „Was haben Sie über sich selbst von Ihrem Patienten gelernt?" (S. 136) ist für Fromm nichts Ungewöhnliches. Dieses „Lernen" bezieht sich vor allem auf das Unbewusste des Analytikers. Je intensiver er durch die Beziehung zum Analysanden mit dem eigenen Unbewussten in Kontakt kommt, desto offener wird er dafür zu erkennen, dass alles, was ihm von Seiten des Analysanden an positiven und problematischen Seiten des Menschseins entgegen kommt, sich auch in seiner eigenen Seele abspielt. Umso eher ist er aber auch in der Lage, die tieferen Hintergründe des Sprechens und Verhaltens, der Motive und Ängste des Klienten zu verstehen und aus diesem vertieften Verständnis heraus das für den therapeutischen Prozess erforderliche „Bezogensein aus der Mitte (central relatedness)" (S. 37) zu entwickeln. Diese Art von Bezogensein lässt das Urteilen über den anderen hinter sich, es vermittelt ihm ein tiefes „Gefühl der Solidarität" (S. 39) und setzt bei ihm neue Möglichkeiten des Verhaltens frei, die er infolge seiner neurotisch eingeengten Persönlichkeit bisher nicht entdecken und praktizieren konnte.

Der Sammelband enthält einige sehr detaillierte Schilderungen, insbesondere von Supervisionsverläufen, die - teils mit direkter Wiedergabe von Äußerungen Fromms - belegen, wie direkt und konfrontativ er sein konnte. So bezeichnete er einmal gegenüber einem Supervisanden (George D. Goldman) die Einfälle des Patienten als „alle Müll, nur Worte" (S. 147) und forderte den Supervisanden auf, genau das dem Patienten zu sagen, natürlich nicht in der Absicht, ihn zu beleidigen, sondern ihn auf das Wesentliche, die tiefer liegende emotionale Schicht seines Problems, hinzuweisen. Fromm wollte nicht, dass die Psychoanalyse in „triviales Geschwätz" (GA XII, S. 312) ausartet. Deshalb wandte er sich auch dagegen, die Analyse weiter fortzusetzen, wenn keine Veränderungen erkennbar würden: „Hat man einen Patienten ein Jahr lang analysiert, ohne dass sich etwas verändert hat, dann sollte man ihm dies ganz ungeschminkt mitteilen und sagen, dass man die Analyse beenden werde, wenn am Ende des zweiten Jahres noch immer kein Fortschritt erkennbar ist. Der Patient muss akzeptieren, dass die Verantwortung für eine Veränderung bei ihm liegt. Dies ist die Realität." (S. 146)

Harte Worte, gewiss. Aber sie zielen darauf, die Eigenkräfte des Patienten zu mobilisieren und ihn nicht in kindlicher Abhängigkeit oder in einem stillschweigenden Arrangement, bei dem „weder der Analytiker noch der Patient den anderen um seinen Schlaf bringt" (GA XII, S. 313), festzuhalten. Die Beziehung zwischen Analytiker bzw. Analytikerin und Patient soll echt und lebendig sein und auf die Wirklichkeit hinter den Verharmlosungen, Rationalisierungen und Projektionen zielen. Der Therapeut darf dabei auch Fehler machen: „Es kommt nicht darauf an, ob Sie Recht haben oder nicht, solange Ihre Reaktion das trifft, was wirklich ist." (S. 148).

Aus zahlreichen Schilderungen des vorliegenden Bandes geht hervor, dass Fromm nicht nur - was schon öfter herausgestellt wurde - in seinen theoretischen Anschauungen zur Psychoanalyse, sondern auch in seiner Praxis als Therapeut und Supervisor ein „Revisionist" war, der die „Abstinenz" des Analytikers, die bei wörtlicher Auslegung der behandlungstechnischen Schriften Freuds leicht zu einem innerlich unbeteiligten Interpretieren der „Einfälle" des Patienten führen kann, in eine dialogische Beziehung überführte. Allerdings hielt er stets am Konzept des „Unbewussten" fest. Das unterscheidet seine „humanistische Psychoanalyse" (GA IV, S. 5) von anderen Spielarten der Humanistischen Psychologie, von denen sich Fromm später abgegrenzt hat (vgl. seine diesbezüglichen Bemerkungen in den nachgelassenen Aufzeichnungen zu Haben oder Sein, GA XII, S. 440).

Im letzten Teil des Buches erfahren wir mehr über den Psychoanalytiker „und Menschen" Erich Fromm, also auch über persönliche Eigenheiten und Gewohnheiten. So schildert z.B. Michael Maccoby, sein langjähriger Mitarbeiter in den 60er Jahren, Fromm habe ihn damals zu einer täglichen Zen-Meditation angehalten, ihn wie ein Zen-Meister „gestraft", wenn er glaubte, er würde „etwas zurück halten", und ihm in seiner New Yorker Wohnung gezeigt, wie er „das Sterben übte", indem er sich dabei auf den Boden legte (S. 197). In mehreren Beiträgen wird erwähnt, dass bei Unterredungen mit Fromm die Zeit „wie im Flug" verging und dass die Gesprächspartner keine Müdigkeit verspürten, auch wenn sich die Gespräche bis tief in die Nacht hinzogen. Selbst bei alltäglichen Begebenheiten war er konzentriert und auf die Menschen bezogen. So rührte er mit „sichtbarem Vergnügen" (S. 193) in der Küche in Locarno die Salatsoße an, wenn Besucher kamen - vermutlich auch sonst -, und begann mit der Blumenverkäuferin auf der Straße ein längeres Gespräch, weil er sie „wirklich mochte" (S. 190). Der Berichterstatter (Bernard Landis) knüpft daran die Reflexion, „warum die meisten von uns so blind geworden sind für so etwas Menschliches und warum wir nur darauf aus sind, möglichst schnell zu zahlen, um wieder zu gehen" (ebd.). Mit seiner Ehefrau Annis hatte Fromm eine liebevolle Beziehung: „Bevor sie abends zu Bett gingen, stellten sie sich gegenüber, schauten sich in die Augen, legten ihre Hände auf die Schultern des jeweils anderen und sprachen sich ein Mantra zu, nicht mit Ärger in ihrem Herzen zu Bett gehen zu wollen, sondern nur mit Liebe." So schildert es Jorge Silva García (S. 206).

Erich Fromm war sicherlich kein „perfekter" Mensch, aber er war jemand, der den humanistischen Umgang mit anderen Menschen, den er lehrte, auch lebte. Als therapeutischer Ausbilder und als lebendige Persönlichkeit wirkte er auf diejenigen, die ihn als seine Schülerinnen und Schüler näher kennen lernten, tief beeindruckend und zu selbständigem Denken und Handeln stimulierend. Davon legt der vorliegende Band ein beredtes Zeugnis ab.

Copyright © 2010 by Dr. Helmut Johach, Walpersdorfer Str. 13, D-91126 Rednitzhembach

E-Mail: helmut.johach[at]web.de

Vgl. J. Rattner: Klassiker der Tiefenpsychologie. München 1990, S. 373.

Vgl. S. Ferenczi: Ohne Sympathie keine Heilung. Das klinische Tagebuch von 1932. Hrsg. v. J. Dupont. Frankfurt/M. 1999, S. 68ff.



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