Wie müsste eine menschengerechte Gesellschaft aussehen bei Überwindung von geschlechtsspezifischer Ungerechtigkeit?

Jahrestagung der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft e.V., 21. bis 23.04.2023 in Bad Bevensen

Trotz der coronabedingten Verschiebung um zwei Jahre hat das Thema nichts an Aktualität verloren. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Coronakrise haben sogar dazu geführt, dass in Bezug auf die Aufgabenverteilung unter den Geschlechtern von einer «Retraditionalisierung» der Frauenrolle gesprochen wurde. In dem Beitrag «Geschlecht und Charakter» stellt Erich Fromm 1943 fest, «dass die Gleichheit zwischen den Geschlechtern größer ist als ihre Verschiedenheit und Mann und Frau zuallererst menschliche Wesen sind mit gleichen Möglichkeiten, gleichen Begierden, gleichen Ängsten.» Wie sieht es mit Gleichheit und Verschiedenheit der Geschlechter heute aus? Auf der Jahrestagung der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft 2023 wollen wir uns mit dieser Frage befassen und die gegenwärtige Lebenswirklichkeit beispielhaft beleuchten sowie Klischees und Rollenzuschreibungen hinterfragen.

Neben dieser Bestandsaufnahme wollten wir in einen Diskurs darüber eintreten, wie eine gleichberechtigte, emanzipierte, offene und demokratische Gesellschaft und deren Aufgabenverteilung aussehen könnte und sollte. Welche Schritte sind für eine paritätische Verteilung sowie eine gleiche gesamtgesellschaftliche Teilhabe erforderlich, damit Augenhöhe zwischen den Menschen entsteht? Wie schafft man die Voraussetzung dafür, dass die Bezogenheit des Menschen auf einen anderen – wie Erich Fromm sie beschrieben hat – für alle fruchtbringend möglich wird?

Bei der Tagung im Tagungshaus des Gustav-Stresemann-Instituts in Bad Bevensen ging es mit folgenden Referentinnen und Referenten um diese konkreten Themenstellungen:

  • Dr. Rainer Funk, Ehrenvorsitzender der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft, wird einführende Worte zu „Erich-Fromm und die Genderfrage“ einbringen. Seine Einschätzung des Themas lautet: „Fromms Kritik am Patriarchat und dessen Geringschätzung der Frau war ein ganz zentraler Punkt bei ihm, nicht nur in der Kritik an Freud, sondern seit seiner Entdeckung von Bachofen (auch wenn dieser die matrizentrischen Kulturen als Beleg für die Überlegenheit des Patriarchats nutzte)“.
  • Im Beitrag „Sorge um die Sorge – Care, Gender und bedingte Autonomie“ von Frau Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky (Institut für Soziologie an der Uni München und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie) geht es um den Zusammenhang zwischen (Für-)Sorge – Care – und Geschlecht, wie er für kapitalistische Gesellschaften typisch ist. Danach wird erörtert, wie sehr dieser Zusammenhang unsere Gegenwart bestimmt und zu Ungleichheiten führt. Am Ende steht die Frage: „Was wäre die Alternative zum Fetisch der Autonomie und der Erwerbszentrierung?“
  • Der Journalistin und Politikwissenschaftlerin Dr. Antje Schrupp (Frankfurt) geht es in ihrem Vortrag um die Frage, wie der Umgang unserer Gesellschaft mit der SWK-Differenz (SchwangerWerdenKönnen) jenseits von Heteronormativität aussehen könnte. Wie ist eine geschlechtsunabhängige Gleichberechtigung vor allem bezüglich der Reproduktion möglich?
  • Die Soziologin Dr. Barbara Umrath (Köln) zeichnet die kritische Gesellschaftstheorie des Instituts für Sozialforschung der 1930er Jahre nach, an der Erich Fromm mit der von ihm entwickelten psychoanalytischen Sozialpsychologie entscheidend beteiligt war. Schwerpunkte sind die Aussagen zu Geschlechterdifferenzen, zur Patriarchatskritik und Emanzipation damals angesichts von Einsichten und Grenzen zeitgenössischer Geschlechterforschung.
  • In einem Referat über unsere Sprache beleuchtet die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Damaris Nübling (Mainz), die Beziehung zwischen sprachlicher und sozialer Kategorisierung des Menschen. Vor allem wird das (grammatische) Genus-System beleuchtet, das mit (sozialem) Geschlecht weitaus mehr zu tun hat, als das nach Meinung der Linguistin Prof. Nübling dem öffentlichen Diskurs lieb ist.
  • Die Erziehungswissenschaftlerin und Transformationsforscherin Frau Prof. em. Dr. Hannelore Faulstich-Wieland (Universität Hamburg) geht der Frage nach, ob die Pädagogik einen Beitrag zur Überwindung genderbezogener Ungleichheiten leisten kann. Während sie im Bildungssystem heute eher eine Benachteiligung der Jungen beobachtet, stellt sie fest, dass die Frauen nach wie vor eher im Erwerbsleben benachteiligt sind, woraus sich die Frage ergibt, wie die Pädagogik daran selbst beteiligt ist.

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