Lawrence J. Friedman
Erich Fromm – Die Biografie
Unter Mitarbeit von Anke M. Schreiber
Bern (Huber Verlag) 2013
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Zehn Jahre lang hat der Historiker Lawrence J. Friedman an dieser Biografie über Erich Fromm gearbeitet. Jetzt ist das fast 500 Seiten umfassende Werk beim Huber Verlag in einer sorgfältigen deutschen Ãœbersetzung erschienen. Tatsächlich haben der deutschsprachige Verlag und die drei ÃœbersetzerInnen ihr Bestes gegeben, um viele Ungereimtheiten der amerikanischen Originalausgabe zu beseitigen, die vor allem in dem „Prolog“ genannten Vorkapitel und in den Kapiteleinleitungen zu finden sind.
Legt der Titel der englischen Originalausgabe The Lives of Erich Fromm: Love’s Prophet die Vermutung nahe, dass Fromm verschiedene Leben geführt habe und ein Prophet der Liebe sei, so beansprucht der deutsche Titel, dass hier die Fromm-Biografie vorgelegt wird. Diesen Anspruch löst Friedman auf weiten Strecken auch ein: Er hat zwar die bisherigen deutschsprachigen Arbeiten zur Biografie Fromms kaum zur Kenntnis genommen, kompensiert diesen Mangel aber durch die Auswertung vieler Interviews, die er mit noch lebenden Angehörigen, Schülern und Bekannten Fromms geführt hat, sowie durch eine systematische Auswertung der im Tübinger Fromm-Archiv gesammelten Korrespondenz Fromms. So hatte ihm die vor zwei Jahren verstorbene Cousine Fromms, Gertrud Hunziker Fromm, Details aus Erich Fromms Kindheit und Jugend mitgeteilt, die bisher nicht bekannt waren.
Den meisten Nutzen werden europäische Leser dieser Biografie aus Friedmans Kenntnis der amerikanischen Politik und der friedenspolitischen und linksintellektuellen Kreise in den USA ziehen, zu denen Fromm während seiner mexikanischen Zeit Kontakt hatte. Auch hier hat der Historiker Friedman, der lange in Bloomington lehrte und zum Schluss eine Professur an der Harvard University innehatte, viele neue Quellen erschlossen und ausgewertet.
Wie fast alle in den USA angefertigten Arbeiten über Fromm, so leidet auch diese an der geringen Aufmerksamkeit für Fromms weltweites Wirken und vor allem an einer Unkenntnis über die qualitativ hoch stehende Fromm-Rezeption vor allem in Europa und in Lateinamerika. Erstaunlich ist auch, wie sehr das Fabulieren der historischen Recherche den Rang abläuft, etwa in der Deutung der Frommschen Liebesbeziehungen oder bei der Beschreibung von Fromms angeblicher Vorliebe für gesellige Feiern während der Locarneser Zeit. Immerhin konnte der deutsche Verlag einige Szenen korrigieren. So enthält die deutsche Übersetzung nicht mehr die in der englischen Originalausgabe dramatisch inszenierte Rede Fromms gegen den Vietnamkrieg im New Yorker Madison Square Garden im Dezember 1966. Tatsächlich hatte Fromm diese Rede gar nicht halten können, weil er wegen eines Herzinfarktes im Krankenhaus lag.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass der „Prolog“ ein nachträglich geschriebenes und eingefügtes Kapitel ist, das eine zum Teil sehr eigenwillige Deutung der Person und des Lebens von Fromm enthält und ohne stichhaltige Belege behauptet, Fromms Leben widerspreche dem, was er gelehrt habe. Leserinnen und Leser, die Fromm persönlich gekannt haben, werden mit Recht Zweifel anmelden, zumal die im „Prolog“ gemachten Aussagen immer wieder den in den Kapiteln sorgfältig recherchierten Erkenntnissen widersprechen. Trotz dieser offensichtlichen Schwächen und Verzerrungen lohnt die Lektüre und spiegelt das Buch Friedmans intensive Beschäftigung mit Erich Fromms Leben und Werk.
Lawrence J. Friedman, Erich Fromm – Die Biografie. Unter Mitarbeit von Anke M. Schreiber, Bern (Huber Verlag) 2013, 496 S., ISBN: 9783456.853154; Preis: 34,95 Euro.
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