Erich-Fromm-Preis 2023 an Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs
am Samstag, 18. März 2023, um 11 Uhr im Bildungszentrum Hospitalhof in Stuttgart
Mit der Wahl des Heidelberger Psychiaters und Philosophen Thomas Fuchs zum Träger des Erich Fromm-Preises 2023 wollte die Jury bewusst ein Zeichen setzen. Der promovierte Mediziner und promovierte Philosoph hat an der Universität Heidelberg die Karl Jaspers-Professur für philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie inne.
Ein Hauptanliegen von ihm ist es, die theoretischen Voraussetzungen der neurowissenschaftlichen Hirnforschung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Das Gehirn sei eben nicht, wie vielfach angenommen werde, ein besonders differenzierter und hochkomplexer Computer; überhaupt tauge der Vergleich mit rechnerischen Modellen (wie lernfähigen Algorithmen) nicht, um die Funktion des menschlichen Gehirns zu begreifen. Auch sei es gerade nicht so, dass die Wahrnehmung von Wirklichkeit nur ein Erzeugnis des Gehirns sei.
Beiträge
 Prof. Jürgen Hardeck | Begrüßung |
 Dr. Elisabeth von Thadden | Laudatio auf den Preisträger: „Ein Verteidiger des Menschen: Der Arzt, Philosoph und Anthropologe Thomas Fuchs“ |
Int. Erich-Fromm-Gesellschaft | Preisurkunde |
 Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs | Erich Fromm Lecture 2023: „Verkörperung und Beziehung Für einen zeitgemäßen Humanismus“ |
 | Der Mitschnitt des Livestreams der Preisverleihung auf YouTube |
Fuchs weist bereits bei den einfachsten Formen von Leben nach, dass Leben immer nur in Bezogenheit auf Umwelt möglich ist. Die neuronale Tätigkeit des Gehirns hat deshalb – wie jedes Leben – das permanente Bezogensein auf den Körper und die Umwelt zur Voraussetzung. Das erstmals 2007 und inzwischen in 6. Auflage erschienene Hauptwerk von Fuchs trägt deshalb den Titel „Das Gehirn – ein Beziehungsorgan“. Um es in seinen eigenen Worten zu sagen: „Dieses Buch entstand aus dem Bestreben, die Fortschritte der Hirnforschung in einen anthropologischen Zusammenhang zu stellen, der das Gehirn als ein Vermittlungsorgan für unsere leiblichen, seelischen und geistigen Beziehungen mit der Welt zu begreifen erlaubt – als Beziehungsorgan.“ (S. 9.)
Das Ergebnis seiner Untersuchung fasst Fuchs so zusammen: „Bei all seinen faszinierenden Leistungen ist das Gehirn doch kein Weltschöpfer, kein ‚Kosmos im Kopf‘, sondern in erster Linie ein Organ der Vermittlung, der Transformation und der Modulation. Es ist eingebettet in die Beziehungen des Organismus zu seiner Umwelt und in die Beziehungen des Menschen zu anderen Menschen. Es nimmt sie auf, trägt und ermöglicht sie, ohne sie jedoch hervorzubringen.“ (S. 322.)
Dieses Verständnis der Funktion des Gehirns als eines Beziehungsorgans zeigt eine frappierende Ähnlichkeit mit dem sozialpsychologischen Denken und dem Konzept des (Sozial-) Charakters von Erich Fromm. Mitte der 1930er Jahre erkannte Fromm, dass sich unser Denken, Fühlen und Handeln nicht aus einer intrinsisch-instinkthaften Dynamik eines angeborenen Triebes erklären lässt, sondern aus der Notwendigkeit, auf die Wirklichkeit, auf andere Menschen und auf sich selbst bezogen sein zu müssen, so dass es die verinnerlichten Bezogenheitserfahrungen in Gestalt von Charakterbildungen (oder Gedächtnissen) sind, die je neu unser Denken, Fühlen, Fantasieren und Handeln bestimmen. Kein Zweifel deshalb, dass Fromm der Erkenntnis von Fuchs voll und ganz zustimmen würde: „Für alle seelisch-geistigen Vermögen, die sich das Kind im Laufe seiner Sozialisation aneignet, für alle kulturell ermittelten Lernprozesse stellt das Gehirn die hochgradig plastische Matrix dar. Einmal gebildete neuronale Strukturen bzw. Verknüpfungsmuster dienen als bereitliegende offene Schleifen, die freilich nicht beliebig umformbar sind – das ist ja der Sinn des Gedächtnisses, die aber nur diejenigen Zusammenhänge und Beziehungen widerspiegeln, die das Individuum selbst erlebt und inkorporiert hat.“ (S. 327.)
Die Laudatio hielt die Journalistin und Sachbuchautorin
. Sie ist seit 1999 Redakteurin der Zeit und verantwortet dort seit 2018 die philosophischen Seiten Sinn&Verstand. Für das künstlerische Rahmenprogramm konnten wir das gewinnen.Hintergrund
Der mit 10.000 € dotierte Erich Fromm-Preis wird seit 2006 jährlich von der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft verliehen. Es werden Personen ausgezeichnet, die mit ihrem wissenschaftlichen, sozialen, gesellschaftspolitischen oder journalistischen Engagement Hervorragendes für den Erhalt oder die Wiedergewinnung humanistischen Denkens und Handelns im Sinne des berühmten Sozialpsychologen Erich Fromm (1900-1980) geleistet haben bzw. leisten.
Bisherige Preisträger*innen waren u.a. Noam Chomsky, Eugen Drewermann, Anne-Sophie Mutter, Georg Schramm, Gesine Schwan, Götz Werner, Christel und Rupert Neudeck, John Neumeier, Hartmut Rosa, Konstantin Wecker, Gerhart Baum, Daniel und Sabine Röder (Pulse of Europe), Paul Mason, Maja Göpel und Ueli Mäder.
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