Unser täglich‘ Fleisch
Lässt sich industrielle Tierproduktion verantworten?
Herbsttagung mit Eugen Drewermann in Kooperation mit der Evangelischen Tagungsstätte Löwenstein
vom 2. bis 4. September 2011 in Löwenstein
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Das detaillierte Programm:Â Programmflyer
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In der Nähe von Heilbronn (auf halber Strecke zwischen Stuttgart und Würzburg) gelegen, bot dieses Haus nicht nur alle Voraussetzungen für eine Tagung, sondern auch ein faszinierendes Ambiente zum Ende des Sommers – und nennt sich deshalb selbst mit Recht „Tagungsstätte in der schwäbischen Toskana“.
Dabei ging es um ein Thema, das viel mit der Natur und der Welt des Tieres, aber auch mit der menschlichen Grausamkeit angesichts der industriellen Tierproduktion und Tierhaltung zu tun hat. Auslöser, dieses Tagungsthema zu wählen, war im Oktober 2010 ein Bericht in der Zeitschrift TEST der Stiftung Warentest mit dem Titel „Unser täglich Fleisch“.
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Industrielle Produktion von Hähnchenbrustfilets
Die Tiere baumeln zu einem Elektrobad, werden eingetaucht und mit Strom betäubt. Einige bäumen sich ein letztes Mal auf. Dann schneiden rotierende Messer die Köpfe ab, die unter der Maschine auf ein Fließband fallen – 10.000 in der Stunde. 100.000 am Tag, 2,5 Millionen im Monat. – Es sind die Augen, die man nicht mehr vergisst. Bei all dem Blut, dem Gemetzel, den abgeschnittenen Köpfen, bei all dem Fleisch – es ist der Blick der Tiere, der einen daran erinnert, dass es hier um fühlende Lebewesen geht.
Stiftung Warentest, „Unser täglich Fleisch“, in: TEST, Oktober 2010, S. 27f.
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Wir wollten das Thema der industriellen Tierproduktion und Tierhaltung dabei in einen größeren Zusammenhang stellen und unsere zwiespältige Einstellung zum Tier überhaupt anfragen.
Auf der einen Seite bekommt das Tier eine immer größere Bedeutung als Gefährte und „Bezugsperson“ des Menschen, auf der anderen Seite werden bei der Tierhaltung KZ-förmige Methoden angewandt, und lebt sich eine unbeschreibliche Destruktivität des Menschen gegen das Tier aus – von der Zeugung, Aufzucht, Tierhaltung bis hin zu den Tiertransporten und den Schlachtungsmethoden. Der hinterfragte Umgang mit dem Tier bezog sich dabei bevorzugt auf das Nutztier. Folgende Teilaspekte des Themas wurden über Referate nahe gebracht und in Aussprachegruppen vertieft:
• Die industrielle Massentierhaltung und -produktion und ihre globalen Auswirkungen – mit Filmauszügen (Jürgen Piater)
• Der Umgang des Menschen mit dem Tier in theologisch-ethischer Perspektive (Dr. Eugen Drewermann)
• Abwehr – Täuschung – inszenierte Tierliebe. Die psychologische Analyse der Beziehung zum „Nutztier“ enthüllt Widersprüche, Widerstände und Blockaden (Dr. Hanna Rheinz)
• Zurück zum ‚Sonntagsbraten’? – Perspektiven einer nachhaltigen Landwirtschaft und Esskultur (Günter Renz)
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Tötungshemmungen des Menschen
Hat der Mensch Hemmungen, lebende Wesen – Menschen und Tiere, mit denen er sich mehr oder weniger identifiziert, das heißt, die ihm nicht völlig „fremd“ sind und mit denen ihn affektive Bande verknüpfen – zu töten? Es spricht einiges dafür, dass derartige Hemmungen vorhanden sind und dass der Akt des Tötens ein Schuldgefühl nach sich zieht.
Viele bekunden eine unverkennbare Abneigung dagegen, ein Tier, mit dem sie vertraut waren oder das ihr Lieblingstier war – etwa ein Kaninchen oder eine Ziege – zu töten und zu essen. Es gibt sehr viele Menschen, die ein solches Tier niemals töten würden und für die der Gedanke, es aufzuessen, einfach abstoßend ist. Die gleichen Leute zögern aber in der Regel durchaus nicht, ein ähnliches Tier zu essen, wenn sie mit ihm nicht derart vertraut waren.
Es besteht jedoch nicht nur dann eine Hemmung, ein Tier zu töten, wenn man zu ihm ein persönliches Verhältnis hat, sondern auch dann, wenn ein Identitätsgefühl mit dem Tier als einem lebenden Mitgeschöpf vorhanden ist. […] Das Gefühl der Identität mit allen Lebewesen, die mit dem Menschen die Eigenschaft des Lebens teilen, hat als wichtiges moralisches Dogma im Denken der Indianer Ausdruck gefunden und hat im Hinduismus zum Verbot geführt, überhaupt ein Tier zu töten.
E. Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, GA VII, S. 108f.
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Tiere sind keine Mörder
Das Studium von Tieren zeigt, dass die Säugetiere – und besonders die Primaten – zwar ein gutes Maß defensiver Aggression besitzen, aber keine Mörder und Folterer sind. [… ] Der Mensch unterscheidet sich jedoch vom Tier dadurch, dass er ein Mörder ist. Er ist der einzige Primat, der seine Artgenossen ohne biologischen oder ökonomischen Grund tötet und quält und der dabei Befriedigung empfindet. Es ist diese biologisch nicht angepasste und nicht phylogenetisch programmierte „bösartige“ Aggression, die das wirkliche Problem und die Gefahr für das Fortleben der Spezies Mensch ist.“
E. Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, GA VII, S. 4.
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Worin unterscheidet sich der mensch vom Tier?
Es ist nicht der aufrechte Gang. Der war schon viel früher bei den Affen da, lange bevor sich das Gehirn weiterentwickelt hat. Es ist auch nicht die Benutzung von Werkzeugen, sondern es ist etwas entscheidend Neues, eine ganz andere Qualität: das Selbstbewusstsein. Das Tier hat auch ein Bewusstsein, es hat ein Bewusstsein von den Objekten, es weiß, das ist dies und das ist jenes. Aber als der Mensch geboren wird, da hat er ein anderes, ein neues Bewusstsein, nämlich das Bewusstsein von sich selbst: Er weiß, dass er ist und dass er anders ist, getrennt von der Natur, getrennt auch von anderen Menschen. Er erlebt sich selbst. Er ist sich bewusst, dass er denkt, dass er fühlt. Dafür gibt es – nach allem, was wir wissen – im Tierreich keine Analogie. Das ist das Spezifische, das den Menschen zum Menschen macht.
E. Fromm, Ãœberfluss und Ãœberdruss in unserer Gesellschaft (1983b [1971]), GA 11, S. 320.
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