Beraten und verkauft?
Das Beratungswesen zwischen Ökonomisierung und Humanität – Jahrestagung der Internationalen Erich Fromm Gesellschaft in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Bad Boll vom 7.-9. Mai 2010.

 

 

Einführung
Programm

E. Fromm zum Thema



Ohne Beratung lassen sich heute kaum noch Unternehmen, soziale Einrichtungen, Kultur, Politik organisieren und steuern. Gleichzeitig stehen alle Lebensbereiche unter einem Ökonomisierungsdruck, dem mit betriebswirtschaftlichen Tools zur Steigerung der Effizienz begegnet wird. Die primäre Orientierung an Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten bestimmt dabei nicht nur die Beratungskultur, sondern hat längst Eingang in die Regelwerke von Verwaltung und in die Sozialgesetzgebung gefunden.

Zweifellos hat das provokative Buch von Thomas Leif, dem Chefreporter des SWR-Fernsehens, mit dem Titel Beraten und verkauft. McKinsey & Co. – Der große Bluff der Unternehmensberater (2006) für eine andauernde Kritik am „Beratungswesen“ gesorgt. Den Buchtitel Leifs zum Tagungsthema erkoren, haben wir ihm deshalb ein Fragezeichen hinzugefügt. Denn es gibt inzwischen auch alternative Ansätze für die Unternehmensberatung. Beides wurde bei der Tagung repräsentiert: Thomas Leif selbst referierte, und in den Professoren Dievernich und Wetzel hatten wir Vertreter eines alternativen Ansatzes in der Unternehmensberatung für die Tagung gewinnen können.

Nicht nur jene, die in den großen Dienstleistungsunternehmen und Güter produzierenden Unternehmen arbeiten, bekommen die Auswirkungen der „neuen Autoritäten“ oft schmerzlich zu spüren. Welche Auswirkungen die Ökonomisierung etwa im Bildungsbereich hat, hiervon berichtet der Beitrag von Ludwig Pongratz Vom Bildungsbürger zum Selbst-Vermarkter. Bildungsreform im Sog der Ökonomisierung in dieser Ausgabe von Fromm Forum. Die Tagung widmete sich also auch der Frage, was mit den Menschen und ihren kulturellen und sozialen Organisationen geschieht, wenn das Ökonomisierungsdenken ungebremst auch auf Bereiche angewandt wird, wo es nicht um Maschinen, Technik und ökonomische Produktivität geht, sondern um Kultur, Bildung, Gesundheit, Religion, Beziehung, Erziehung. Welche Auswirkungen hat das Setzen auf ökonomische Produktivität, wenn es um menschliche Produktivität und um die Pflege von Kunst oder um die Sorge für Schwache, Kranke, Behinderte geht? Verliert nicht der Mensch mit dem Diktat des Ökonomischen und der Ökonomisierung viele Ausdrucksweisen seiner Menschlichkeit – seine Motiviertheit, sein Verantwortungsgefühl und sein Eintreten für die Einrichtung und jene Fähigkeiten („Kompetenzen“), die das Resultat seines Einsatzes als Mensch und seiner Erfahrung und Verbundenheit mit seiner Arbeit sind? Auch zu diesem Spannungsfeld zwischen Ökonomisierung und Humanität, um das es am Sonntagvormittag ging, konnten mit Professorin Dr. Diethmar und Dr. Maurer zwei Kenner des Problems gefunden werden.

Auch die eher Frommsche Frage, was mit der Praxis der menschlichen Eigenkräfte und mit der Fähigkeit zur menschlichen Produktivität geschieht, wenn durch eine allgegenwärtige Be-Ratung von außen sämtliche Lebensbereiche mit betriebswirtschaftlichen Tools gesteuert werden und die Menschen dabei ihres Eigenseins mehr und mehr ent-eignet werden, wurde thematisiert. Rainer Funk referierte zu dieser sozialpsychologischen Frage .

Die Tagung stellte das Beratungswesen auf den Prüfstand und fragte nach Alternativen, bei denen der Mensch (der Klient, der Künstler, der zu Erziehende, der Bedürftige) nicht zum Objekt der Steuerung gemacht wird, sondern als Subjekt geachtet und gefördert wird.


Programm:

Freitag, 7. Mai 2010

19.30 h Begrüßung und Einführung

Christa Engelhardt für die Evangelische Akademie Bad Boll

Dr. Rainer Funk für die Erich Fromm-Gesellschaft

19.45 h Annäherung an das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln (Impulsreferate)

  • ‚Wunderbar sagt Vladimir‘. Vom Versuch der Beratung des Unternehmens „Künstlerin“ – präsentiert von Marc Leesch, Dipl. Sozialpädagoge, Erich Fromm-Gesellschaft

  • Alltag in der Beratung deutscher Großunternehmen: Mythos und Realität

Martin Funk, Consultant, Frankfurt am Main

Samstag, 8. Mai 2010

09.00 h Das Geheimnis der Berater. Annäherungen an einen Mythos

Prof. Dr. Thomas Leif, Chefreporter Fernsehen SWR Mainz; Moderator >2+LEIF<

Referat mit Diskussion

10.30 h Intelligenter Beraten. Orientierungspunkte für eine Beratung im Kontext von Müdigkeit, Immunität und Atemlosigkeit

Dr. Frank E. P. Dievernich, Professor für Unternehmensführung, Fachhochschule Bern

Dr. Ralf Wetzel, Professor für Unternehmensführung, Fachhochschule Bern, Leiter Kompetenzzentrum Unternehmensführung

11.45 h Streitgespräch der Professoren Leif, Dievernich und Wetzel

12.15 h Diskussion und Aussprache zu beiden Referaten

14.00 h Arbeitsgruppen zur Vertiefung der Referate

17.00 h Das Beratungswesen auf der Couch. Zum Konflikt zwischen ökonomischer und menschlicher Produktivität

Dr. Rainer Funk, Psychoanalytiker, Erich Fromms Rechte- und Nachlassverwalter

Referat mit Aussprache

20.00 h Für Mitglieder der Fromm-Gesellschaft: Mitgliederversammlung 2010

Sonntag, 9. Mai 2010

9.45 h Ökonomisierung und Humanität. Konzept einer ganzheitlichen Altenpflege

Dr. Alfons Maurer, Diplompsychologe, Geschäftsführer der Keppler-Stiftung, Trägerin von Altenhilfeeinrichtungen, Diözese Rottenburg-Stuttgart

Referat mit Aussprache

11.15 h „Integrative Beratung“ als neue Form des Change Managements

Einheit von Strategie, Struktur und Kultur

Prof. Dr. Christiane Dithmar, Managementberatung Stuttgart

Referat mit Aussprache


 

Erich Fromm (vor 40 Jahren) zum Tagungsthema:

 

Der technische Fortschritt droht zur Quelle von Werten zu werden und die über Tausende von Jahren gültigen Normen, nämlich das zu tun, was wahr, schön und der psychischen Entfaltung des Menschen zuträglich ist, hinwegzufegen.

[Inzwischen haben wir auch die] Norm, die uns von dem immer komplexer werdenden technologischen System diktiert wurde, akzeptiert: Dass bei der Güterproduktion wie bei der Organisation des Zusammenlebens das höchste Prinzip eine maximale Effizienz ist. Dieses Prinzip hat das Prinzip minimaler Individualität zur Folge. Je mehr ein Mensch auf leichte Handhabbarkeit und auf berechenbare Maßeinheiten zurechtgeschnitten werden kann, desto effektiver ist der Umgang mit ihm. Zahlen und Lochkarten bringen es mit sich, dass die feinen, aber wichtigen individuellen Unterschiede eliminiert werden.

 

Das Prinzip, dass bei der Güterproduktion wie bei der Organisation des Zusammenlebens der höchste Wert eine maximale Effizienz ist, hat das Prinzip minimaler Individualität zur Folge.

 

Die Folgen für den Menschen sind nicht zu übersehen: Der nur noch mit Produktion, Verkauf und Konsum von Dingen beschäftigte Mensch wird selbst immer mehr zu einem Ding. Er wird zum völligen Konsumenten, der nur noch alles passiv in sich hinein nimmt: von Zigaretten und Alkoholika bis zum Fernsehen und zu Filmen, ja selbst Vorträge und Bücher konsumiert er. Er fühlt sich einsam und ängstlich, weil er jenseits der Bewältigung des Alltags keinen wirklichen Sinn in seinem Leben mehr erkennen kann. Er langweilt sich und bewältigt seine Langeweile damit, dass er immer mehr und anderes konsumiert und sich von sinnlosen Anregungen kitzeln lässt. Sein Denken ist vom Fühlen abgetrennt, die Wahrheit von der Leidenschaft, sein Kopf von seinem Herzen. Ideen sprechen ihn nicht an, denn er denkt in Begriffen von Kalkulation und Wahrscheinlichkeit, statt dass er sich von Überzeugungen und Verbindlichkeiten leiten lässt.

Die vermutlich größte Gefahr unseres gegenwärtigen Systems ist die Tatsache, dass Dinge, Apparate und technische Errungenschaften attraktiver werden als Leben und Wachstum.

 

E. Fromm, „Wahlkampfrede für Eugene McCarthy“ (1992o [1968]).

Erich Fromm-Gesamtausgabe in 12 Bänden, Band XI, S. 584-589, hier S. 585f.

 

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