Jürgen Meier | Mangroven Verlag Kassel 2023, 284 S.

Jürgen Meier, langjähriges Mitglied der Internationalen Erich Fromm- Gesellschaft, hat einen anspruchsvollen Text vorgelegt. Der Titel des Buchs enthält eine Anspielung auf das bekannte Diktum von Karl Marx, Hegels dialektisch-idealistische Philosophie müsse vom Kopf auf die Füße gestellt werden, um hinter der Mystifikation den «rationellen Kern» in den ökonomisch-politischen Strukturen und Veränderungen zu entdecken (Nachwort zum 1. Bd. des Kapital). Damit verbunden ist eine Anthropologie, die im Menschen nicht ein abstrakt-isoliertes Individuum, sondern das «Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse» (6. Feuerbachthese) sieht. Veränderungen in der Gesellschaft schlagen sich im Individuum nieder (was Fromm «Gesellschafts-Charakter» nennt). Zugleich produziert und reproduziert sich die menschliche Gattung (nicht zu verwechseln mit einem rein biologischen Gattungsbegriff) in der Bearbeitung der äußeren Natur immer wieder aufs Neue und muss zugleich darauf bedacht sein, dass ihre innere Natur dabei nicht verloren geht. Entfremdung ist eine ständige Gefahr, und entsprechende Widersprüche, Fehlentwicklungen oder bisher versäumte Chancen gilt es mit dialektischer Schärfe aufzuzeigen.

Auf der Basis einer an Marx orientierten Anthropologie und Gesellschaftskritik, die durch Anleihen bei der Ontologie des gesellschaftlichen Seins von G. Lukács bereichert wird, entfaltet der Autor ein Kaleidoskop von Beobachtungen, skeptischen Betrachtungen und historisch-kritischen Analysen, ausgehend von der «Lust am Selbstsein» in der Popkultur (S. 29 ff.) oder von «Josef Beuys‘ Performances» in der Kunst (S. 130 ff.) Er beschäftigt sich u.a. mit Feminismus, mit der Geschichte des Matriarchats und dem Übergang vom «natürlichen» zum «kommunikativen Gattungsverhältnis» (S. 226 ff.) Ein längeres Kapitel handelt von der «dekadenten Elite», die offen im Sinne des Kapitalismus denkt und handelt, und einer «humanistischen Elite», die letzterem oft nur ein ideologisches Mäntelchen verschafft; dabei greift Meier auf Fromms Begriff der «kranken Gesellschaft» zurück (S. 151 ff.) Ein weiteres Kapitel befasst sich kritisch mit dem subjektivistischen Missverständnis der Menschenrechte, so als ob damit nur ein «Recht auf egoistische Nutzung von Mensch und Erde für sich» gemeint sei, ohne an die Befreiung aller Menschen von Elend, Ausbeutung und Unterdrückung zu denken (S. 181 f.). Schließlich rundet der Autor – nach einem Resümee bisheriger Erfahrungen mit staatlich verordnetem Sozialismus, der bekanntlich in der Sowjetunion scheiterte – seine Ausführungen mit eigenen Überlegungen zu Demokratie und Sozialismus ab. Sie enden mit einem Plädoyer für eine «Renaissance» (S. 283) der Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse und einem wenig bekannten, aber treffenden Zitat Erich Fromms:

«Die bewußte Wahrnehmung der Realität als Schlüssel zur Veränderung ist für Marx eine der Voraussetzungen für sozialen Fortschritt und Revolution, so wie sie für Freud die Voraussetzung für die Heilung seelischer Erkrankungen war. […] Marx´ Beitrag zur Psychologie wird die ihm bis jetzt versagte Anerkennung finden, wenn man sein zentrales Anliegen – den Menschen – voll erkennt.» (Fromm 1965d, GA V, S. 432, zit. bei Meier, S. 284.)

Helmut Johach

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