Am 9. Mai 2025 kam es zur ersten gemeinsamen Veranstaltung des renommierten über 100 Jahre bestehenden Instituts für Sozialforschung Frankfurt/M mit der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft seit ihrer Gründung 1985. Da Erich Fromm in den 1930er Jahren maßgeblich an der Entwicklung des Begriffs des Autoritären Charakters an ebenjenem Institut beteiligt war, ist es nur folgerichtig, dass sein Wirken für die Autoritarismusforschung gewürdigt wird.

Rainer Funk, Niclas O‘ Donnokoé und Jürgen Hardeck im IfS

In der weiteren empirischen Erforschung und sozialpsychologischen Einordnung von Herrschaft, Unterdrückung und Gewalt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand Fromm aber eine andere menschliche Strebung, die mehr zur Erklärung beitrug: den Narzissmus. Aus Sicht von Rainer Funk taugt dieser Begriff viel besser dazu, auch aktuelle v.a. rechts-populistische Strömungen zu erklären. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Charakterstrebungen ist insofern bedeutend, als dass die zivilgesellschaftliche, demokratische Reaktion darauf jeweils sehr unterschiedlich sein muss:


Was treibt Menschen, die politisch rechts wählen, an?
Erkenntnisse aus dem Spätwerk Erich Fromms

von Rainer Funk

Einleitend möchte ich gerne kurz auf den Gebrauch des Begriffs „Autoritarismus“ zu sprechen kommen.

1 Der Gebrauch des Begriffs „Autoritarismus“ und Fromms Konzept des autoritären Charakters

Für die meisten scheint er völlig klar zu sein: Überall, wo durch einen Autokraten, durch Oligarchen, eine Partei oder das Militär undemokratisch und antipluralistisch Herrschaft und politische Gewalt ausgeübt wird, lässt sich von Autoritarismus sprechen. In sozialpsychologischer Perspektive zeichnet sich der Autoritarismus durch autoritäre Persönlichkeiten aus, die Herrschaft ausüben und Gehorsam und Unterwürfigkeit einfordern. Bei einer solchen Definition liegt es nahe, an allen Ecken und Enden der Welt eine Wiederkehr des Autoritarismus zu beobachten. Ob diese Wahrnehmung einer psychologischen Perspektive, wie sie Fromm entwickelt hat, standhält, darum soll es in meinem Beitrag gehen.

Tatsächlich war ja Fromm derjenige, der den Begriff des autoritären Charakters bereits Anfang der 1930er Jahre im Kontext der Forschungen des Instituts über Autorität und Familie entwickelt und seine Psychodynamik dann in dem von Horkheimer (1936) herausgegebenen Band Autorität und Familie als einen (nicht-sexuell verstandenen) sado-masochistischen Charakter beschrieben hatte (Fromm 1936a). Und es war Fromm, der bereits 1930 den autoritären Charakter von sich politisch links bekennenden Arbeitern und Angestellten empirisch untersucht hatte (auch wenn die Ergebnisse erst 1980 veröffentlich wurden; vgl. Fromm 1980a).

Die entscheidende Erkenntnis Fromms war neben der aktiven (sadistischen) und passiven (masochistischen) Erscheinungsweise des autoritären Charakters, dass Herrschaft Ausübende und Unterwürfige symbiotisch aneinander gebunden sind, so dass es zu einer starken emotionalen Abhängigkeit voneinander kommt.

Psychodynamisch hat Fromm diese wechselseitige symbiotische Abhängigkeit so erklärt (vgl. Fromm 1941, GA I, S. 300-322): Auf Grund des Herrschaftsanspruchs der irrationalen Autorität projiziert der Unterwürfige seine eigenen autonomen Kräfte – also seine eigenen Kompetenzen, seinen eigenen Willen, sein eigenes Streben, sein Gutsein, seine Autonomie – auf die Autorität, um in der existenziellen Abhängigkeit von der Autorität sekundär an der idealisierten Autorität partizipieren zu können. Bei einer solchen Psychodynamik gilt dann: „Führer oder Partei, wir gehören Dir, denn ohne Deine Herrschaft sind wir nichts.“

Dieser autoritäre Charakter, der den Menschen ihre eigene sexuelle Lustbarkeit und ihre geschlechtliche Selbstbestimmung streitig machte und in der Erziehung dazu führte, dass man den Kindern durch körperliche und seelische Züchtigung und Gewaltausübung ihren Eigenwillen austrieb, hat politisch erst mit der sog. 1968er Bewegung in den westlichen Ländern seine Dominanz definitiv verloren. Geht man von einem solchen Verständnis von autoritärem Charakter aus, dann tut man sich in sozialpsychologischer Perspektive schwer, überall eine Wiederkehr des Autoritarismus und des autoritären Charakters zu sehen. Die „Make America Great Again“ wählenden Amerikaner sind mehrheitlich nicht unterwürfig und gehorsam, sondern selbstbestimmt und wild danach, sich wieder potent und großartig zu erleben. Und genau das, verbietet Trump ihnen nicht, sondern will er ihnen wieder geben. Da muss psychodynamisch auf der motivationalen Ebene was anderes im Gang sein.

Sicherlich gibt es auch autoritäre Gruppierungen und Personen, man denke nur an die Evangelikalen und Kreationisten, an Antifeministen oder an den Vize-Präsidenten Vance, der vor 6 Jahren zum Katholizismus konvertierte und Selenskyj öffentlich der Undankbarkeit bezichtigte. Undankbar zu sein, das ist genau die Keule, mit der autoritäre Eltern ihre Kinder unterwürfig und gefügig machten. Und doch geht es mehrheitlich um eine andere als eine autoritäre emotionale Situation, wenn man „America first“ und die nationalistischen Bewegungen in den westeuropäischen Ländern psychologisch verstehen will.

2 Zur Psychodynamik narzisstischer Machtausübung

Fromm selbst hat eine ganze Weile gebraucht, bis er jene psychische Dynamik erkannt hat, die erklärt, warum Menschen Zuflucht in Großartigkeitsfantasien nationaler, rassistischer, religiöser oder auch geschlechtlicher Art suchen und gleichzeitig alles, was dieser fantasierten Großartigkeit widerspricht, von sich fernhalten. Der Weg Fromms zu einer solchen Erkenntnis narzisstischer und gruppennarzisstischer Machtausübung und deren ganz anderer Psychodynamik, soll hier kurz nachgezeichnet werden.

a) Bezogenheitsbedürfnisse als psychische Antriebkräfte

Der Weg beginnt bereits nämlich dort, wo sich Fromm Mitte der 1930er Jahre von der Freudschen Triebtheorie distanzierte und die psychischen Antriebskräfte nicht aus angeborenen Trieben, sondern aus der Notwendigkeit der Bezogenheit erklärte (vgl. 1992e [1937]). Dabei hat Fromm vor allem das psychische Grundproblem des Menschen im Blick. Auf Grund der neuronalen Weiterentwicklung kann der Mensch sich selbst zum Gegenstand des Interesses machen, ist also selbstreflexiv; und er kann sich Dinge unabhängig von ihrer realen Existenz als wirklich vorstellen und das Vorgestellte (Imaginierte, Fantasierte) eigenständig mit Affekten verknüpfen. Gleichzeitig kommt es beim Menschen zu einer starken Reduktion genetisch-instinktiver Determinanten.

Selbstreflexivität und Vorstellungsvermögen führen zugleich zu neuen psychischen Bedürfnissen nach Bezogenheit: So muss jeder Mensch sich einen Rahmen der Orientierung (in Gestalt von Weltanschauung, Religion, Wissenschaft usw.) schaffen, um nicht verrückt zu werden. Auch muss er seinem Leben einen Sinn geben, um nicht in eine depressive Sinnlosigkeit zu rutschen. Vor allem aber muss der Mensch eine konstruktive Beziehung zu sich selbst entwickeln und sich individuell und sozial identisch und wert erleben können.

Dieses existenzielle Bedürfnis, sich identisch und selbstwert zu erleben und sich deshalb selbst lieben und akzeptiert fühlen zu können, kann – wie alle Bedürfnisse nach Bezogenheit – auf unterschiedlichste Weisen befriedigt werden, aber es muss befriedigt werden. Führen die Befriedigungsweisen (auf Grund individueller und sozio-ökonomischer Verhältnisse) nicht zu Selbstliebe und Selbstwerterleben, dann kommt es zu selbstsüchtigen und narzisstischen Kompensationen für den Mangel an Selbstliebe und positiver Selbstwahrnehmung. Genau diese Dynamik einer behinderten oder vereitelten Selbstliebe hat Fromm bereits 1939 in dem Beitrag „Selfishess and Self-Love“ in der Zeitschrift Psychiatry beschrieben (Fromm 1939b).

Fromm insistiert nicht nur auf dem allen Menschen eigenen psychischen Bedürfnis nach einem individuellen und sozialen Identitätserleben, sondern sieht im Narzissmus nichts Angeborenes (wie bei Freud), sondern das Ergebnis eines Mangels an Selbstliebe und deshalb als sekundäre Möglichkeit eines primär sozialen und nach liebender Bezogenheit auf sich selbst strebenden Menschen.

Unterstreichen möchte ich hier, dass Fromm schon 1939 das Bedürfnis, sich identisch zu erleben, als psychische Überlebensnotwendigkeit gesehen hat – ebenso existenziell, wie körperliche Bedürfnisse zu essen oder zu schlafen – und dass er Selbstsucht und Narzissmus als pathologische Kompensationen einer defizitären Liebe zu sich selbst begriffen hat.

b) Verunsichertes Identitätserleben und der narzisstische Fluchtweg

Den entscheidenden Durchbruch zu einem neuen Verständnis gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen gab es aber erst Anfang der 1960er Jahre, als Fromm in dem Buch Die Seele des Menschen (1964a, GA II, S. 199-223) die Psychodynamik des Narzissmus beschrieb. Er erkannte, dass es nicht nur einzelne aktiv-narzisstische Individuen gibt, sondern dass es auch eine passive Form des Narzissmus gibt, bei der viele Menschen ihr defizitäres Selbst- und Identitätserleben dadurch kompensieren, dass sie sich mit einer narzisstischen Person, Idee, Organisation, Institution oder Gruppierung identifizieren, um sich in der Identifizierung mit fantasierter Großartigkeit selbst großartig erleben zu können.

Fragen wir aber zunächst danach, was auf der Ebene der Bezogenheit auf sich selbst und auf andere bei einer narzisstischen Kompensation vor sich geht. Voraussetzung ist immer, dass das Identitätserleben und die Liebe zu sich selbst auf Grund individueller oder gesellschaftlicher Umstände verunsichert bzw. fragil wird. Welche „Umstände“ hier in der Gegenwart zu nennen sind, will ich hier nur andeuten. Die Globalisierung, der Klimawandel, die dramatisch zunehmende Ungleichheit, die digitale Revolution, die unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln und unsere Selbstwirksamkeit in völlige Abhängigkeit von kreativer Technik bringt und das Subjekterleben und Selbstwerterleben massiv schwächt, sind nur einige Beispiele. Das Erleben von Angst, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und Ohnmacht lässt sich immer weniger ausblenden.

Gerät das Selbst durch individuell oder gesellschaftlich konstellierte Bedrohungen so unter Druck, dass es seine positive, also das Identitätserleben tragende Funktion zu verlieren droht und Menschen sich nur noch unsicher, ängstlich, abgeschrieben, vergessen und entwertet erleben, dann bietet der Narzissmus und vor allem eine narzisstische Charakterbildung ein immer häufiger gewählter Ausweg.

Dieser zeichnet sich – nach Fromms Verständnis – immer durch eine Spaltung des positiven vom negativen Selbsterleben aus. In der Regel kommt es zu einer Abspaltung des negativen Selbsterlebens (obwohl es beim sog. „negativen Narzissmus“ auch umgekehrt sein kann) mit dem Ziel. sich nur noch großartig und super zu erleben. Die eigenen, negativ erlebten Selbstaspekte werden bei sich selbst verleugnet und auf andere projiziert und meistens dort auch bekämpft.

Die Idealisierung des Eigenen und die Entwertung von allem, was nicht dem idealisierten Eigenen entspricht, kennzeichnet jeden Narzissmus. Nach Fromm lässt sich deshalb eine narzisstische Psychodynamik immer daran erkennen, dass die eigene Grandiosität an eine Entwertung bzw. Bekämpfung von allem gekoppelt ist, das fremd und anders ist und deshalb nicht das großartig fantasierte Eigene spiegelt oder ergänzt. Dabei korrespondiert das Maligne und Pathologische des Narzissmus mit der Destruktivität gegen das Nicht-Eigene: Ein stark ausgeprägten Narzissmus entwertet nicht nur alles Nicht-Eigene, sondern bekämpft es.

c) Der Gruppennarzissmus

Die narzisstische Spaltung des Selbst ist auf der intersubjektiven Ebene inzwischen diagnostisch und therapeutisch gut erforscht. Fromms Verdienst ist es, schon vor 60 Jahren diese spaltende Tendenz des Narzissmus im gesellschaftlichen Miteinander erkannt und als kollektiven oder Gruppennarzissmus beschrieben zu haben (vgl. Fromm 1964a, GA II, S. 211-223).

Auch Menschengruppen, die sich in ihrem Identitätserleben bedroht, verunsichert, abgeschrieben und entwertet erleben, müssen ihr Bedürfnis nach sozialer Identität befriedigen. Sie können diese desolate Situation dadurch überwinden, dass sie sich mit sich großartig fantasierenden Personen, Gruppierungen, Ideen oder Institutionen identifizieren, um sich auf diese Weise selbst großartig zu spüren. Welche Attraktivität zum Beispiel Donald Trump, der in jedem zweiten Satz das Wort „great“ und „greatness“ benutzt, mit seiner Botschaft „Make America great again“ hatte, lässt sich daran ablesen, dass mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler ihn wegen seiner „greatness“-Botschaft und seines eigenen Narzissmus wählten.

Das eine sind starke narzisstische Persönlichkeiten in Politik, Religion, Kultur, Medienwelt usw., das andere sind Gruppierungen mit ihrer Fankultur oder narzisstische Programme und Institutionen. Im politischen Bereich ist es zu einer neuen Blüte des Nationalismus und rechtspopulistischer Personen und Programme gekommen. Nicht vergessen werden sollte, dass der Narzissmus auch im Bereich der Wirtschaft „gesellschaftsfähig“ geworden ist.[1] Es geht darum, wer der Größte, Erfolgreichste, Umsatzstärkste, Lukrativste ist und welche Unternehmensberatung am meisten Exzellenz zu bieten hat; wo es dann nur noch um Superlative, um Superreiche und die neuen „Helden“ à la Elon Musk geht.

d) Autoritäre vs. narzisstische Machtausübung

Bestimmt eine narzisstische Psychodynamik das politische Geschehen, dann äußert sich dies auch in anderen Machtstrukturen sowie in anderen Formen des Umgangs mit Rebellen und Dissidenten.

Dies soll ein Vergleich mit der autoritären Machtausübung verdeutlichen. Bei einer autoritären Psychodynamik geht es um die Bedrohung des autoritären Systems. Diese besteht darin, dass die emotionale symbiotische Abhängigkeit zwischen irrationaler Autorität und Unterwürfigen durch eigenes, autonomes und unabhängiges Denken, Fühlen und Handeln geschwächt werden könnte. Entsprechend muss jedes Eigenwillige und Selbstbestimmte unterdrückt, geheimdienstlich erkannt, verfolgt und geahndet werden; dem rebellisch Eigenmächtigen bleibt nur, sich schuldig zu bekennen und sich in Ritualen der Unterwerfung erneut als gehorsamer Diener des autoritären Systems zu bekennen. Falls er dazu nicht bereit ist, wird er – je nach politischem Stellenwert – eingesperrt oder liquidiert (so macht es z.B. Putin.)

Dominiert eine narzisstische Dynamik, dann orientiert sich alles daran, dass die Großartigkeit anerkannt und gefördert wird. Dies geschieht nicht durch Unterwürfigkeit und Selbstlosigkeit der anderen, sondern dadurch, dass die anderen die Großartigkeit des Narzissten oder der narzisstischen Idee oder Organisation direkt spiegeln oder ergänzen. Was verbindet und den sozialen Kitt ermöglicht, ist die gemeinsame fantasierte Großartigkeit, und nicht der Wunsch, sich einer irrationalen Autorität zu unterwerfen und blindlings gehorsam zu sein.

3 Weitere Besonderheiten narzisstischer Machtausübung

Weitere Besonderheiten narzisstischer Machtausübung zeigen sich, wenn sich Menschen nicht verzwecken oder vereinnahmen lassen, die Großartigkeit des Narzissten oder einer narzisstischen Idee oder Organisation zu spiegeln bzw. zu ergänzen. Sie werden dann entweder ignoriert (1. Stufe) oder aktiv entwertet (2. Stufe) oder schließlich beschimpft und zu Feinden, Schurken, zur Achse des Bösen, zu Terroristen usw. erklärt (3. Stufe). Letzteres geschieht regelmäßig, wenn die Entwerteten auf ihrem Recht bestehen, die Dinge auch kritisch und realistisch einzuschätzen. Dann werden sie zur Projektionsfläche für alles, was Narzissten und narzisstische Gruppierungen bei sich verleugnen müssen: Sie sind dann die Bösen und die Schuldigen, die man sich vom Leibe halten und bekämpfen muss.

Ein erhöhtes Aggressionspotenzial ergibt sich auch beim Umgang narzisstischer Personen oder Gruppierungen mit sich selbst: Die fantasierte Großartigkeit des Eigenen erlaubt keine Gefühle von Angst, Minderwertigkeit, Schwäche oder gar des Versagens, so dass alles, was zu solchen Wahrnehmungen und Gefühlen führen könnte, sofort aggressiv abgewehrt werden muss. Narzisstische Menschen und Gruppen reagieren nicht mit Fremdenangst, sondern mit Fremdenfeindlichkeit, nicht mit Gefühlen des Verstehens, sondern mit Ressentiment, nicht mit Empathie und Erbarmen, sondern mit Gleichgültigkeit und Gnadenlosigkeit.

Besonders auffällig ist bei der narzisstischen Machtausübung auch die Notwendigkeit von Feindbildern und die Projektion von jenen Aspekten des Eigenen auf andere, die im Widerspruch zur fantasierten eigenen Großartigkeit stehen. Die Inhalte der Feinbilder entsprechen meist exakt dem, was man bei sich selbst bzw. der großartig fantasierten Idee oder Organisation verleugnet und deshalb auf andere projiziert. Um die eigene soziale Identität zu sichern, werden dann die da oben zu Sündenböcken gemacht und erkennt man den zu bekämpfenden Feind in den Sozialschmarotzern, Migranten, sexuell Diversen, Andersgläubigen oder Fremden – eben in allem, was die eigene Großartigkeit nicht spiegelt und ergänzt, und in allem, was sich nicht für die eigene Großartigkeit verzwecken und vereinnahmen lässt.

Aus der narzisstischen Spaltung des Selbst ergibt sich als weitere Besonderheit, dass es nur ein Entweder – Oder, nur Freunde oder Feinde, nur Schwarz oder Weiß gibt, aber kein Sowohl – Als auch, keine Grautöne und keine Menschen, mit denen man sich auseinandersetzen und streiten muss (wissenschaftlich, demokratisch oder wie immer auch).

Narzisstische Idealisierung des Eigenen bei Entwertung von allem Nicht-Eigenen führt nicht nur zu einer entstellten und verzerrten Wahrnehmung von sich selbst und von anderen, sondern auch zu einer verzerrten Wirklichkeitswahrnehmung und dem Machtanspruch, das, was wirklich und wahr ist, eigenmächtig bestimmen zu können. Diesen Machtanspruch gibt es auch bei einer autoritären Psychodynamik. Die Prawda als Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Sowjetunion versuchte ebenso wie Trumps Truth, Fake-News mit Macht durchzusetzen. Während das autoritäre System der kommunistischen Partei die Wahrheit dekretierte und den Unterwürfigen nichts anderes übrigblieb, als sie dankbar als Weisheit der Partei entgegen zu nehmen, verspricht Trump mit seiner „prawda“ alias „truth“ Greatness und erfindet blühende Welten im mittleren Westen oder am Strand von Gaza. Was wirkt und womit Macht ausgeübt wird, ist nicht Herrschaftsanspruch, sondern fantasierte Großartigkeit.

Weil es Narzissten und narzisstischen Gruppierungen um die Sicherung der fantasierten Großartigkeit geht, ist jede Selbstkritik ausgeschlossen. Wenn man dennoch mit seinen Grenzen konfrontiert wird oder wenn andere einen kritisieren, dann wird dies als Verletzung der fantasierten Großartigkeit erlebt und kommt es zu Wut und Raserei und einem nie endenden Rachebedürfnis. Eine solche narzisstische Gewalt gegen andere (oder auch in der suizidalen Wendung gegen sich selbst, wenn die Gewalt nicht nach außen gerichtet werden kann), ist psychologisch etwas völlig anderes als die sadistische Grausamkeit, mit der Autoritäre Unterwürfigkeit und Kadavergehorsam einfordern.

Fromm hat seine Erkenntnisse zur narzisstischen Aggression in seinem Spätwerk Anatomie der menschlichen Destruktivität (1973a, GA VII, S. 179-184) gerade im Hinblick auf den Gruppennarzissmus noch präzisiert. So schreibt er dort: „Diejenigen, deren Narzissmus mehr ihre Gruppe als sie selbst betrifft, sind ebenso empfindlich wie individuelle Narzissten, und sie reagieren wütend auf jede wirkliche oder eingebildete Beleidigung, die ihrer Gruppe angetan wird.“ (Ebd., S. 183.) Die Besonderheit der Kränkbarkeit und erhöhten Vulnerabilität der fantasierten Großartigkeit trifft also nicht nur auf einzelne Narzissten, sondern auch auf die mit großartigen Personen, Ideen, Organisationen Identifizierten zu.[2]

Das Gefährliche des individuellen wie des kollektiven Narzissmus ist in psychologischer Perspektive vor allem darin zu sehen, dass das Interesse am anderen – also an allem, was das Eigene übersteigt, was fremd, unbekannt und nicht so ist, wie man selbst, zunehmend verloren geht und die Fiktion der Großartigkeit mit Gewalt aufrechterhalten wird. Der Rechtspopulismus, aber auch viele anderen Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur, folgen vor allem einer solchen narzisstischen Psychodynamik. Der Rechtspopulismus gibt sich als des Volkes Stimme, ist im Kern aber antidemokratisch, weil zu jeder Demokratie die positive Anerkenntnis des Anderen als Anderen gehört. Eben wegen seiner vorwiegend narzisstischen Psychodynamik kennt er keine wirkliche Toleranz und Akzeptanz gegenüber dem Nicht-Eigenen. Jeder Gruppennarzissmus propagiert das Gegeneinander statt ein überlebensnotwendiges Miteinander.

Schluss: Was treibt heute jene Menschen an, die politisch rechts wählen?

Fragen wir abschließend noch einmal in sozialpsychologischer Perspektive: Was treibt heute Menschen an, die politisch rechts wählen? Als Kernproblem lässt sich psychologisch ganz überwiegend die Frage des individuellen und sozialen Identitätserlebens und des Selbstwerterlebens ausmachen, ob es um die Angst geht, den Wohlstand zu verlieren (wie vor allem bei den Amerikanern) oder um das Gefühl, sich in seinem eigenen Land nicht mehr heimisch und sicher zu fühlen oder um das Erleben von Ohnmacht angesichts der Übermacht technischer Kreativität, überbordender Bürokratie oder des Klimawandels. Angst, Unsicherheit, Ohnmacht und das Gefühl, nichts mehr bewirken zu können und abgeschrieben zu sein, führen zu einem unerträglichen individuellen und kollektiven Selbsterleben. Um einem solchen zu entkommen, suchen diese Menschen ihr Heil nicht in der Unterwerfung unter eine Autorität, sondern in fantasierter Großartigkeit – als Deutsche, als Weiße, als Leistungsträger, als Fan-Club, als Follower dessen, was immer sich als großartig zu präsentieren imstande ist.

Sie als Autoritäre zu bekämpfen, trifft nur teilweise; sie gesellschaftlich und politisch auszugrenzen und zu stigmatisieren, verstärkt nur die Flucht in die gewählte nationalistische oder anders fantasierte Großartigkeit. Unser Problem heute ist nicht, dass die Flucht ins Autoritäre wieder gesellschaftsfähig geworden ist, sondern dass die narzisstische Selbstidealisierung als das Normalste der Welt angesehen wird. Darauf hinzuweisen und für das Destruktivitäts- und Gewaltpotenzial eines dominanten narzisstischen (statt autoritären) Sozialcharakters zu sensibilisieren, war mein Anliegen und dafür steht das Spätwerk Erich Fromms.


Literatur

Fromm, E., Gesamtausgabe in 12 Bänden (GA), hg. von Rainer Funk, Stuttgart / München 1999 (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag); E-Book Ausgabe München (Open Publishing) 2016: https://books.openpublishing.com/document/335933/

  • 1936a: „Sozialpsychologischer Teil“, GA I, S. 139-187.
  • 1939b: „Selbstsucht und Selbstliebe“, in: E. Fromm, Lieben wir das Leben noch? München (dtv), 2020, S. 65–113; E-Book: https://books.openpublishing.com/document/311557).
  • 1941a: Die Furcht vor der Freiheit, GA I, S. 215–392.
  • 1964a: Die Seele des Menschen. Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen,  GA II, S. 159-268.
  • 1973a: Anatomie der menschlichen Destruktivität, GA VII.
  • 1980a: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine Sozialpsychologische Untersuchung, GA III, S. 1-230.
  • 1992e [1937]: „Die Determiniertheit der psychischen Struktur durch die Gesellschaft. Zur Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie“, GA XI, S. 129-175.


E-Mail: frommfunk{at}gmail.com


[1] Anders als in der Vergangenheit, als das Ausleben des Narzissmus als Hochmut, Angeberei und Selbstsucht stigmatisiert und tabuisiert wurde und höchstens der feudalen Klasse (oder dem Jenseits) vorbehalten war, gibt es heute eine regelrechte Kultur des Narzissmus. Je grandioser, desto besser. Wie anders kann ein Zollkrieg verstanden werden, bei dem es immer nur um „America first“ geht?

[2] Deshalb hat Fromm in diesem Spätwerk zentrale Aspekte der Grandiosität des Dritten Reiches, wie etwa die Überlegenheit der arischen Rasse und die Vernichtung der Juden, sehr viel stärker narzisstisch interpretiert, so dass es das spezifische Zusammenspiel von Narzissmus und Autoritarismus war, das den deutschen Nationalsozialismus prägte.


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Was treibt Menschen, die politisch rechts wählen, an? Erkenntnisse aus dem Spätwerk Erich Fromms

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